Einweihung der Gedenktafel zu Ehren Ludwig Uhlands

Bundesbruder Uhland (Tübinger Wochenblatt, 3.5.2012)

Den 225. Geburtstag des Dichters, Juristen und besonnenen demokratisch-revolutionären Politikers Ludwig Uhland begingen die Schüler des nach ihm benannten humanistischen Tübinger Gymnasiums mit einem »lyrischen Flashmob«. Zu Hunderten rezitierten sie am Donnerstag rund um das benachbarte Denkmal sein Gedicht »Frühlingsglaube«.

So leicht hatte es die Tübinger Burschenschaft Germania nicht, ihren großen »Bundes- und Farbenbruder« angemessen zu ehren. Bei einem eher verschämt internen Festakt im Verbindungshaus – direkt benachbart dem im Krieg zerstörten Uhlandhaus am Neckartor – enthüllten ihre Vertreter gemeinsam mit dem Arbeitskreis Tübinger Verbindungen eine Gedenktafel.

Aus dem ursprünglichen Plan, am Fuße des Wurmlinger Kapellenbergs (»Droben stehet die Kapelle«) einen Gedenkstein zu errichten, war nichts geworden. Mit etwas fadenscheinigen Begründungen hatten sich die Tübinger Chöre und der Wurmlinger Ortschaftsrat von dem Projekt zurückgezogen. Ortsvorsteher Hans-Dieter Bauschert schob offenbar haftungsrechtliche Bedenken vor. Wie üblich mussten die Burschenschafter hernach noch den mehr oder minder versteckten Hohn und Spott der Tübinger Tagespresse über sich ergehen lassen.

Vielleicht ist es nach dem Ende der unsäglichen Rituale um das Mai-Einsingen und die Proteste dagegen mal an der Zeit, über das Verhältnis der Tübinger zu ihren Verbindungen nachzudenken. Denn allmählich nervt die reflexhafte Feindseligkeit eines Teils der Tübinger Öffentlichkeit mehr als manches Befremdliche und Bescheuerte an diesem Burschenschaftswesen.

Da werden auf Seiten alternder Nach-68er pauschale Feindbilder gehegt und gepflegt, die in dieser Form nicht mehr ganz zeitgemäß erscheinen. Für die große Mehrheit der Jüngeren hat sich der Umgang mit den bei jenen so verhassten »Burschis« längst weitgehend entspannt, vor allem aber differenziert. Und das ist auch gut so. Denn mit der pauschalen aggressiven Ausgrenzung greifen die Gegner genau zu jenen Haltungen und Methoden, die sie den Verbindungen vorwerfen.

Es gibt farbentragende und nichtfarbentragende Verbindungen, es gibt schlagende und nichtschlagende Verbindungen, konfessionelle und landsmannschaftliche. Es gibt ein paar Verbindungen, die reaktionäres, nationalistisches bis rechtsradikal deutschtümelndes Gedankengut hegen. Es gibt viele tolerant demokratisch ausgerichtete, und es gibt sogar »linke«, jedenfalls fortschrittlich gesinnte Verbindungen, die etwa auch Frauen aufnehmen. Die Tübinger Lichtenstein schrieb da Geschichte.

Die Geschichte der Verbindungen insgesamt ist schillernd und widersprüchlich. Aus dem Befreiungskampf gegen Napoleon hervorgegangen (1815 konstituierte sich die erste Burschenschaft in Jena, der Vorläufer der Tübinger Germania im Jahr 1816) gibt es eine patriotische Traditionslinie. Sie passte damals noch zur bürgerlich-demokratischen, die etwa im »Vormärz«, dem Hambacher Fest gegen die europaweite »Restauration« und der Revolution von 1848 gipfelte.

In der Bismarck-Zeit fühlten sich die meisten Verbindungen als Träger des Reichsgedankens und der nationalstaatlichen Einigung. Antisemitische Tendenzen gab es teils auch. Aber der bedeutende Dichter Berthold Auerbach, jüdischen Glaubens, war wie Uhland gleichfalls hochgeachtetes Mitglied der (zu seiner Studienzeit verbotenen) Tübinger Germania. Dass auch Hitler die Burschenschaften 1936 verbieten ließ, dient andererseits manch unzweifelhaft rechter Verbindung bis heute als Feigenblatt.

Die Männlichkeitsrituale wie die Mensur und ritualisierte Saufgelage werden den Verbindungen vorgehalten. Da mag manchmal was dran sein. Aber auch das trifft gewiss nicht auf alle zu. Und beides gibt es auch anderswo. Bei Gewerkschaftern oder SPD-Ortsvereinen im Ruhrgebiet etwa war Komasaufen so weitverbreitet wie bei manchen jugendlichen Abhängern heutzutage. Die landsmannschaftlichen Bindungen, selbst der Generationenvertrag mit Patronage durch die etablierten »Alten Herren« sind nichts an sich Verwerfliches, aber haben Grenzen. Seilschaften muss man auch anderswo kritisieren.

In einem der Dachverbände tobte jüngst ein Richtungsstreit zwischen Fraktionen, die ausländische Studenten selbstverständlich aufnehmen und solchen, die so etwas mit unverhohlen rassistischen Untertönen ablehnen. Sollte man da nicht gegen die Rassisten Partei ergreifen statt gegen den Verbindungen an sich? In Tübingen andererseits wurde neulich ein türkischstämmiger Student angepöbelt, weil die Farben seiner Verbindung trug. Auch das Verbot des Farbentragens auf dem Unigelände bietet hier nach wie vor Stoff für harte Auseinandersetzungen.

Man muss kein Freund der Burschenschafter sein und erst recht nicht jeder ihrer Erscheinungsformen. Da darf vieles kritisiert, vehement abgelehnt und vielleicht sogar hart bekämpft werden. Es darf und soll ja auch gestritten werden. Aber Differenzierung und ein wenig Toleranz wären schon wünschenswert. Vor allem sollte man gar zu blinde Reflexe gelegentlich überprüfen.